Sternenzimmer

20.9.2021. Arme Menschen essen auch in Schnellimbissen. Als Student gehört das dazu, aber später muss es in bekannten bayerischen Traditionlokalen auch kein Vermögen kosten, wenn die Zutaten in Ordnung sind. Der Geschmack hat ein eigenes Gedächtnis, und wenn der Appetit sich meldet, auf eine Currywurst mit Pommes Frites, kann Jeder schnell satt werden, bis man die Sachen überhaupt nicht mehr sehen kann.

Der Mechanismus funktioniert auch bei anspruchsvollen Themen. Deshalb erschienen hier in letzter Zeit mehr Wagner-Artikel als sonst. Der Stoff ist tief im Unterbewustsein gespeichert, schhläft jahrelang vor sich hin, und plötzlich reicht ein Stichwort, um die Gebirgslawine wieder in Hochgeschwindigekeit zu versetzen. Dagegen gibt es Vorsichtsmaßnahmen. Wenn ein Bekannter sagt, „Da habe ich wieder bei dem Langweiler auf einen Knopf gedrückt,“ dann hat er selbst Schuld. Wer kein Geld für einen Strandurlaub hat, muss das Geräusch von rauschenden Ozeanfluten vermeiden. Leider ist das nicht immer möglich.

Bei der Musik muss man nicht einmal die Augen schließen. Auch wenn gerade ringsum ein lautes Fußballspiel läuft. Durch Training bekommt man bei jedem Thema Schaltknöpfe. Konzenriert man sich dann auf Hauptsachen und schiebt die Nebensachen innerlich zur Seite, nennt man das Meditation. Jahrzehntelang habe ich das in überfüllten Lokalen gemacht. Man hört die Leute dann zwar noch genau, aber sie landen in einem anderen Speicher.

Bei Wagner hat es mich immer gestört, dass er auch Langweiliges angeboten hat. Schlechte Aufführungen machen das von selbst, dann geht man am besten gleich, in der ersten Pause und erholt sich mit anderen Leuten. Die ersten drei Frühwerke von Wagner haben Fehler und Schwachstellen, die aber den starken Gesamteindruck nicht beschädigen. Im vierteiligen „Nibelungenring“ ist es der einschläfernde Ehestreit mit Fricka (Walküre 2) und die endlose Rätselszene (Siegfried 1).In den drei Spätwerken Tristan, Meistersinge und Parsifal gibt es überhaupt keine Schwächen. Sie übertreffen alles Andere, was die Musikgeschichte zum Vorschein gebracht hat.

Allein der erste Akt der Walküre“ ist ein gipfelstürmendes Wunderwerk. Am 11.9.21 habe ich darüber berichtet: „Die Steinzeit der Musikaufzeichnungen“ :

https://luft.mind-panorama.de/steinzeit/ 

Zitat: „Die besten Musikaufnahmen aller Zeiten sind nicht durch fehlerlose Digitaltechnik entstanden. Aber die Elektronik macht es heute kinderleicht, Stimmen wieder zu vollem Klang zu erwecken, die vor 160 Jahren auf den Musikbühnen Triumphe feierten. Wenn sie vierzig Jahre später immer noch erfolgreich waren, konnten sie vor alte Mikrofone treten. Die Aufzeichnungen werden seit Jahren durch Restauratoren bearbeitet, die alle Störungen, Knistern und Knattern, herausfiltern, aber den Klang nicht beschädigen, sondern akustisch steigern. Das rettet auch die Interpretation. Das Wichtigste. In Wien entstand am 22.6.1935 eine Studio-Aufnahme des ersten Aktes von Wagners „Walküre“, die seitdem alle Vergleiche mühelos übertrifft.“

Ein anderes Beispiel ist der dritte Lohengrin-Akt. Wenn der Vorhang noch geschlossen ist, zeichnet die Musik ein rauschendes Hochzeitfest. Dann begleitet die Festgesellschft das glückliche Paar, bis an das Bett im Brautgemach und singt ihnen noch ein Ständchen. Allein das kann ein optischer Märchentraum sein, wie eine Palastgeschichte aus 1001 Nacht. Was die Musiktheater dabei bieten, ist leider  oft zum Weglaufen. Aber dann dann ist das Brautpaar auch endlich allein. Sie schmachten sich an, und  dann wird die angeblich „unschuldige Braut“ Elsa sehr neugierig. Sie will ausgerechnet jetzt Alles wissen: Wie ihr Bräutigam heißt. Woher er kommt. Vielleicht auch, was er verdient. Das würde zu dieser Szene passen: Die nackte Geldgier. Und im Zuschauerraum sitzen viele sehr reiche Menschen, In den Pausen werden sie genau beobachtet und eingeschätzt. Wenn aber zu viele Luxus-Lokale in der Nähe sind, bleiben sie leer. Den  neuen Wirt eines alten Künstlerlokals habe ich einmal gefragt, ob man in an seinen weiß gedeckten Kronleuchter-Tischen auch ein Bier trinken kann, so wie in den Jahren früher. Er antwortete vornehm: „Im Garten stellen wir später noch ein paar Stehtische hin. Dort können Sie gern ein Bier trinken.“ Seitdem war ich nicht mehr dort. Manchmal liegen solche Wirtshäuser in der Mitte von alten Städten. Die könnte man vorichtig, vor Allem optisch aufwerten. Meine zahlreiche Vorschläge dazu wurden viele Jahre lang nicht beachtet. Das wird sich ändern, darum auch hier der bekannte Hinweis auf das nachweisbare Copyright. Wer mit  fremden Ideen viel  Geld selbst verdienen will, muss mit dem Autoren vorher eine Nutzungsvereinbarung abshließen. Das ist jederzeit möglich.

Das Ende in Lohengrins märchenhaftem Brautgemach ist eine Katastrophe. Er jagt seine pausenlos fragende, neugierige Braut  weg und erzählt lieber dem wartenden Publikum draußen, Alles was sie schon lange wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.

Aber  natürlich gibt es nicht nur traurige Geschichten. Vor Jahren besuchte ich in der Münchner Staatsoper die Premiere von Humperdincks „Königskindern.“ Im noch kurz leeren Foyer des Hauses stand der heutige Bayreuther Musikdirektor Christian Thieleman. Er lächelte freundlich, daraus ergab sich ein kurzes Gespräch. Er klagte über die schlechte Akustik in der achten Reihe Parkett, wo er selbst als Besucher saß. Ich  erklärte ihm, dass im Parkett der Klang nicht durch Raumfilter verbessert wird, sondern zu trocken klingt. Unser Gespräch wurde plötzlich unterbrochen, von einer vornehmen älteren Dame in festlicher Abendkleidung: „Herr Thielemann! Darf ich sie einmal etwas fragen ?!“ Da habe ich mich ganz schnell verabschiedet, denn die Frau hatte überhaupt kein Benehmen und platzte einfach dazwischen.

Nach fünf Metern Abstand tauchte er kurz noch einmal auf, gab mir die Hand und bedankte sich für unser kurzes Gespräch. Ich habe das in guter Erinnerung, aber es hatte den Beigeschmack einer schlechten Inszenierung, und das ist in München ein weit verbreitetes Freizeitvergnügen, um fremde Leute zu belästigen. Absichtlichher Psychoterror kann im schlimmsten Fall auch einen Herzschlag auslösen, das ist versuchter Mord. In meinem Bekanntenkreis und mit zufälligen Gesprächspartnern in der Stadt war das schon oft ein Thema, das sich vermutlich von selbst erledigt, weil die voraussehbaren Folgen sonst zu schwerwiegend sind.

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