Tanzen bis zum Abwinken

9.9.2021. Wie man mit dem vorhandenen Geld auskommt, ohne zu klauen oder zu betrügen, hat mir einmal ein gutaussehendes Münchner Ehepaar gezeigt. Beide gingen oft zu exklusiven Tanzwettbewerben, aber die dafür notwendige Abendgarderobe schneiderten sie selbst. Für den großen Silvesterball im Luxushotel Bayerischer Hof hatten sie auch  kein Geld, kannten aber den Koch.  Er ließ sie einfach, durch die Küche, in den festlichen Ballsaal. Eine Platzreservierung hatten sie nicht und konnten deshalb die ganze Zeit nur tanzen. Bis zum Abwinken. Aber damit war das teure Problem gelöst, ganz einfach. Anschließend wanderten sie zum preiswerten Traditionlokal „Donisl“ und aßen sich dort an einem einfachen Stehtisch satt. Weil er auch  zu viel trank, wurde er im Winter von einem Auto überfahren, lag monatelang im Krankenhaus. Seine Eltern hatten aber einen Wohnungsschlüssel. Als sie ihn besuchten, fragten  sie, „Was ist denn bei dir zu Hause los? Auf den Tischen stehen halb leere Sektgläser, und im Kleiderschrank hängen fremde Anzüge.“ Das verstand er sofort. Als seine Frau ihn danach besuchte, sagt er nur, „Geh weg! Ich will dich nie wieder sehen.“ Er wusste auch: Der unbekannte Gast konnte nur der gemeinsame Tanzlehrer sein. Später waren wir oft in seinem Stammlokal, tranken dort gemeinsam Weißbier. Bei mir hatte das überhaupt keine Wirkung, denn er tauschte, nach jeder Bestellung, sofort unsere zwei Gläser aus. Er bekam eigentlich  nur noch Alkoholfreies, aber  das durfte dann ich trinken, bis er die Schwindelgeschichte offen zugab. Streit gab es deshlb nicht, wir haben beide nur gelacht.

Auch solche originellen  Menschen kann man in der Großstadt einfach aus den Augen verlieren, ohne Kraftanstrengung, weil die Auswahl sehr groß ist. Aber nicht unbedingt erstklassig. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr habe ich gern Opernaufführungen besucht. Viele Zuschauer hielten die Vorstellungen auch geduldig aus, aber sie wollten am liebsten  ihre teure Garderobe zeigen, in der Pause. Eine bekannte, reiche  Fürstin hatte dafür eine gute Idee. Sie kaufte zwar teure Eintrittskarten, ging aber nicht in die langen, langweiligen Vorstellungen, sondern hatte nur einen ständig reservierten Platz, im nahen Luxus-Lokal. Jedes Jahr. Im Fernsehen, konnte man sie dort sehen, und ihr reichte das auch. In der Münchner Oper gab es eine ganz andere Masche. Beutegeier mit scharfen Augen liefen dort durch die Pausengänge, suchten Millionäre oder Luxusvillen, hatten aber nur wenig Ahnung oder Intereresse an  der Musik. Sie waren meistens Teil von Cliquen, also Gruppen, die sich auch langweilten. Oft waren ausgerechnet  die Hauptsachen, die angebotenen Inszenierungen, auch langweilig. Deshalb habe ich seit zehn Jahren kein Opernhaus mehr betreten. Die besten Werke gibt es längst als Videos, vollständige Filmaufzeichnungen, dazu lädt man nur Gäste ein, die es auch ernst meinen.

Wieder ein Beispiel dafür, dass die Technik unser Leben bereichert, aber das kann sie auch nur, wenn man sich für die Themen dahinter interessiert. Dazu gebe ich nur Hinweise. Einzelne Personen interessieren dabei  gar nicht. Aber wo sich Menschen treffen, reden sie auch miteinander. Vor Allem über die, die gerade nicht anwesend sind. Auch das hat mich niemals interessiert, sondern angewidert und abgestoßen. Ein Gespräch hat nur dann einen erkennbaren Wert, wenn auch der Inhalt etwas Besonderes ist. Also Qualität, nicht goldene Handtaschen.

Die besten Beispiele lassen sich verallgemeinern, ohne deshalb belanglos zu sein. Meine ersten Erfahrungen waren nur eine lange Kette von vielen, verknüpften Bildern. Beschäftigt man  sich aber mit analytischen Methoden, die frei zugänglich sind, sieht die Sache ganz anders aus. Es gibt viele handgeschriebene Tagebücher, die vollgestopft sind mit Müll. Mehr als tausend Worte reicht manchmal ein einziger Satz. Das zu verstehn, ist  nicht schwer, wenn man Interesse am Inhalt hat. So kommt man auch weiter. Sonst öffnen sich zwar geschlossene Türen, aber man findet dahinter nichts.

Die Kraft einer Information findet man nicht in Statistiken. Die Bücher von Franz Kafka und Sigmund Freud, die Bilder von Salvador Dali und die Musik von Anton Bruckner haben viele Artikel hier beeinflusst, aber erst nach dem genaueren Hinschauen und dem Nachdenken darüber. Eigentlich ist das ganz normal. Aber in der Realität sieht dieses Bild ganz anders aus. Die Entscheidungsfreiheit hat den gleichen Wert wie die Meinungsfreiheit und die Glaubensfreiheit. Trotzdem stehen sie auch noch schriftlich, in der Verfassung, im Grundgesetz. Und das bewertet und entscheidet über alle anderen Gesetze. Sogar über die Urteile des Verfassungsgerichts. Wenn sie Lücken haben, werden sie hier genannt. Die Betroffenen müssen sich aber selbst darum kümmern.

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