Undankbares Herz

4.10.2021. „Undankbares Herz.“ Eine abgenutzte Floskel aus tausend Liebesgedichten. Wenn der Verlassene anfängt, Vorwürfe zu machen, obwohl er selbst Schuld hat. Vielleicht, weil er zu eifersüchtig und besitzergreifend war. So etwas liegt mir ganz fern. Reisende soll man nicht aufhalten, sonst wird es immer unangenehmer, und die ungerechten Vorwürfe oder Hassausbrüche steigern sich. Jeder Mensch hat die Freiheit, über sein eigenes Leben selbst zu entscheiden. Sonst besetzt er einen anderen, der das gar nicht will. Shakepeares Sonnette sind ein mächtiger Widerspruch dagegen. Die 154 Liebesgedichte richten sich an eine einzige Person, sprengen aber diesen viel zu engen Rahmen. Es spiegelt sich die Natur und das gesamte Universum, mit seinen Tiefenschichten. Die bis heute in der Literatur ungeklärte Widmung „Für Mister W. H.“ ist vermutlich für Thomas WalsingHam“, den Neffen des Londoner Geheimdienstchefs, der direkt verantwortlich war für die persönliche Sicherheit von Königin Elizabeth I.

Beide kannte Shakespeare persönlich, weil er selbst vorübergehend als Geheimagent arbeitete, und weil die Königin seine unvergleichlichen Theaterdramen mit großer Zufriedenheit an ihrem königlichen Hof aufführen liess. Als der Dichter, im Angesicht der drohenden Todesstrafe wegen Gotteslästerung, über Nacht aus London flüchtete, half ihm Walsingham finanziell bei der Weiterfahrt nach Padua, nicht weit von Venedig. Königin Elisabeth I. war vermutlich eingeweiht, konnte aber nichts gegen den Vorwurf der Gotteslästerung unternehmen, weil er, nach der damaligen, harten Rechtsauffassung, stimmte.

Shakespeare warein freier, unabhängiger Geist, der von den Gewohnheiten in seiner Umgebung zusammengedrückt wurde, aber innerlich, auch den Verboten der Kirche, nicht nachgab. Deshalb war seine Flucht nach Italien unvermeidlich. In seinem letzten Theaterdrama „Der Sturm“, wendet sich Shakespeare direkt an die Königin. Im abschließenden Epilog bittet er sie um Begnadigung, erreicht wohl aber damit nichts.

Die Überschrift dieses Artikels, Undankbares Herz („Cor´ngrato“), ist eines der besten Liebeslieder aus Neapel. Komponiert hat es in Amerika Salvatore Cardillo (1874 – 1947), der 1903 nach New York auswanderte. Acht Jahre später widmete er das Lied dem berühmten Opernsänger Enrico Caruso, im Dialekt der gemeinsamen Heimatstadt.

Beide verließen ihr Geburtsland, um dort der Armut zu entgehen. An dieser Situation hat sich bis heute nichts verändert. Auch das ist gemeint, mit dem Text: „Catari (Caterina). Du denkst nicht mehr an meinen Schmerz. Es ist vorbei.“ Ein Abschied kann aber auch nur eine Pause sein, zum Nachdenken. Wenn es sich überhaupt lohnt.

Die eindrucksvollste Aufnahme ist immer noch von Carlo Bergonzi:

https://www.youtube.com/watch?v=oTpZ1ednTmc
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