20.1.2016. Musik ist unsichtbar, aber an ihren Wirkungen erkennbar und an den Auslösern, den Stimmen und Instrumenten. Vor ein paar Tagen habe ich eine TV-Aufnahme aufgezeichnet, eine Aufführung von Joseph Haydns „Die Schöpfung“ im Herkulessaal der Münchner Residenz, mit Chor und Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, unter der Leitung von Bernard Haitink.
Musik ohne Kostüme, Bühnenbilder und Lichteffekte. Das war wie eine Röntgenaufnahme. Man schaute direkt auf die Quelle. Professionelle Orchestermusiker, die hoch konzentriert auf der Stuhlkante saßen. Einen Chor, der alle Herausforderungen meisterte. Und der alte Bernard Haitink, der von Händel bis Wagner das ganze klassische Repertoire herauf- und herunterdirigieren kann.
Und das genau war das Problem. Jeder Dirigent hat seine eigene persönliche Handschrift. Bei Karajan war es der honigsüße, aber auch eindringliche Schönklang. Georg Solti betonte die unruhige Dramatik der Meisterwerke. Haitink jedoch hatte es nicht so mit den Emotionen. Handwerklich war alles perfekt, aber eiskalt. Vergleichbar dem Wiener Nikolaus Harnoncourt, der das vibrationslose Musizieren bevorzugt. Ohne Vibrato, das heißt, ohne innere Bewegung. Der Verzicht auf emotionale Gestaltungsmöglichkeiten, wie das Crescendo, die an- und abschwellende Lautstärke oder Ritardandi, das bewusste Verzögern des musikalischen Tempos. Auch die zeitweise Hervorhebung einzelner Instrumente und das emotionale Nachempfinden der Welten, die hinter den Notenschriften einer Partitur auf ihre Entdeckung warten.
Normalerweise schaue ich keine Konzertaufnahmen im Fernsehen an, weil sie nur das Gehör ansprechen und im Radio und auf CDs besser aufgehoben sind. Aber hier war es auch ein optisches Erlebnis, die Künstler aus nächster Nähe anzuschauen, die das Ereignis verursachten. Haydns Orchestermöglichkeiten in seiner Zeit waren beschränkt. Aber er steigerte sie durch seine Begabung. Von der innigen Meditation der Solisten bis zu den Ausbrüchen des Chores. Dirigent Bernard Haitink konzentrierte sich auf Rhythmus und Lautstärke.
Karajan wusste da mehr. Seine Aufnahme des gleichen Werks verzaubert durch emotionale Perspektiven, die ekstatischen Möglichkeiten des Klangs, der ein Spiegel der Seele ist, der psychischen Dimensionen
Hier ist Karajans Aufnahme der Schöpfung aus dem Jahr 1969:
https://www.youtube.com/watch?v=us-CdONHFYc
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