3.8.2020. Im September 1980 fand der Jahresurlaub zum ersten Mal im Ausland statt. Das war ein Grund, regelmäßig Reiseberichte zu schreiben. Aber nicht für Reklameprospekte, sondern um die Erlebnisse auch noch Jahre später wieder aufzuwecken. Da ging es nicht um langatmige Ortsbeschreibungen, sondern um das Datum und eine Auswahl der Eindrücke, die man nicht einfach vergessen wollte. Die ersten vier Jahre stand Italien im Mittelpunkt. Verona. Florenz. Venedig. Rom. Neapel. Aber auch viele kleine Städte, wo man unterwegs mit dem Auto einfach spontan übernachtete. Beginn und Ende waren immer ein paar Tage in München, das damals noch das Markenzeichen „Traumstadt“ hatte. Und nach einer unvermeidbaren Lebenskrise im Privatbereich war das auch im September 1987 ein beruflicher Neubeginn. Die Traumstadt hat nach dreißig Jahren auch ihre Qualitäten als Alptraum bewiesen. Aber die Pluspunkte wiegen schwerer, und die Mischung gehört dazu. Andere Leute haben für solche Mischungen ihre eigenen Methoden, und das ist oft von schwarzen Vogelscheuchen begleitet, die ihren albernen Lebenswandel über getarnte Verstöße gegen Regeln und Gesetze ausbauen. Früher waren die Strafen dafür heftiger. Einige nutzen das dummdreist aus. Aber was die alten Römer dafür in ihren knallharten Gesetzbüchern im Angebot hatten und auch anwandten, will heute Keiner mehr zurück. Die zahllosen Datenspeicher reichen eigentlich aus, um Tatbestände zu bewerten. Doch die traditionellen Bearbeitungsmethoden sind schwerfällig, leicht anfällig für schwere Fehler. Es sind ja nicht nur Beamte, die das alte Prinzip anbeten, „So haben wir es immer schon gemacht.“ Wer in allen Lebensbereichen auf Menschen trifft, bekommt deutlich zu spüren, was das heißt. Aber ein Teil aller wertvollen Erfahrungen sind sicherlich auch die schlechten Erlebnisse, die eine eigene Dynamik haben, sich aufzublähen und dann auszutrocknen. Zu viel Salz in der Suppe schmeckt nicht. Wenn man nicht selbst kocht, sollte man sich die Mitarbeiter in den Wirtshäusern vorher anschauen. Und dann eine persönliche Auswahl treffen, wenn man dann auch noch üble, dumme Stammgäste und andere Übelkrähen der gewohnheitsmäßigen Belästigung trifft.
Andere Reiseziele waren Wien und London. Mehr nicht? Ja, aber das Würfeln mit Namen ist wertlos. Gottfried Benn schrieb ein Gedicht: „Meinen Sie vielleicht, Zürich wäre eine andere Stadt?“ Er meinte damit, dass die Grundformen überall gleich sind. Damit kann man überfällige Veränderungen und dringende Reformen in Schwung bringen. Trotzdem ist der Gedanke staubtrocken und leblos. Es fehlen die Eigenarten jedes Ortes, die Vielfalt, Mängel und deren Ursachen. Wer solche überlebensnotwendigen Aufgaben tatkräftig anpacken will, stößt auf die dicksten und härteste Mauern der Welt. Länger und lückenloser als die weltberühmte Chinesische Mauer, mit der die Herrscher damals alle angreifenden fremde Kriegsheere abwehren wollten. Heute ist das überflüssig. In Wien ließ Kaiser Franz Josef II sogar die mächtigen Stadtmauern abreißen und ersetzte sie durch die Luxusgebäude der Ringstraße. Eine neue Sehenswürdigkeit für alle staunenden Besucher.
Die Urlauber an der Adria drängen sich an den östlichen Stränden. Im Westen sind die Einheimischen unter sich. Auf einem Campingplatz in Livorno habe ich einmal die stilleren südlichen Formen des Familienlebens tagelang erlebt. Tagsüber am Strand, abends vor dem Fernseher. Die Stadt hat einige bescheidene Arbeiterviertel, da bleibt auch für den Jahresurlaub wenig übrig.
Nur ein paar Autominuten entfernt ist La Spezia. Das war am 31.8.82. Man vergisst das Datum nicht, denn es war das genaue Ende des „Ferragosto“, des landesweiten Ferienmonats. Bei der Ankunft war der Strand voller Badegäste, Eisbuden und Strandkörbe. Am nächsten Tag waren sie alle schlagartig weg und Niemand mehr am Wasser. Ähnlich auch in den großen Städten. Selbst in Rom sind viele Ladenbesitzer und sonstige Gastgeber im August verreist. Doch auch an den herrlichen Renaissance-Brunnen der Piazza Navona gibt es genug Tische, um das Wunderland bei einem kühlen Weißwein auch in abgehobener, geradezu überirdischer Stimmung zu erleben. Hochgeistig. Hochprozentig.
Dauernd leben möchte ich dort Nirgendwo. Als Dauerthema sind Italiens schwere Mängel unerschöpflich. Das liegt ja nicht an der Mehrheit der Bevölkerung, die genauso schlau und fleißig ist wie in allen anderen Ländern. Ursache sind die Strippenzieher in wichtigen Organisationen, die das ganze Land lenken. Dabei muss man nicht mit dem arroganten Finger auf einzelne Personen zeigen. Es sind die leblosen, versteineten Strukturen, die bekannte Auswahl der schlechten Traditionen, die Keiner ändert. In einem römischen Postamt wollte ich einmal Briefmarken kaufen. Die Besucherhalle war leer. Später kam ein einzelner Mitarbeiter, der schlecht gelaunt die kleinen Papierstücke abgab. Vielleicht sich das Alles längst geändert, aber es gibt zu viele klare Augenzeugenberichte, nicht nur in den Zeitungen.
Trotzdem darf man nicht aufhören zu träumen, wenn der logische Verstand auch noch die Sache beurteilt.
Knallharte Fakten findet man seit fünfzehn Jahren hier:
Aber es gibt keinen Grund, nur noch in ungemütlichen dunklen Farben zu malen. Das Leben ist so vielseitig, dass es keinen Mangel gibt an angenehmen Themen. Selbst schlechte Erinnerungen und Erfahrungen sind nur ein Teil der Wirklichkeit, die man eher mit einer Schatzkammer vergleichen kann, zu der niemals Alle die passenden Schlüssel haben. Denn das Schlaraffenland, wo Milch und Honig von selbst fließen, wäre auch der Grund für eine bequeme Faulheit, die sich eine lebenswerte reale Welt gar nicht leisten kann. Was man wirklich daür machen und auch erreichen kann, ist hier schon lange ein Dauerthema.
Carlo Bergonzi singt „Torna Surriento“. Die Sehnsucht nach Sorrent (bei Neapel). Man schaue sich nur die Bilder an:
https://www.youtube.com/watch?v=Ug_6mu0NcXE

Der Schiefe Turm in Pisa 1982, vor 38 Jahren.
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