Zehn sichtbare Wunder am Grünen Hügel

23.9.2020. Wunder sind manchmal Einbildungen in der Phantasie. Aber wenn sie sich nachweisen lassen, sieht es anders aus.

Hier geht es um die zehn Hauptwerke Richard Wagners, die im Juli und August am Grünen Hügel gezeigt werden. Es handelt sich um die bedeutendsten Zeugnisse der Kultur, in unserem Planetensystem.

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  1. Der Fliegende Holländer

Der Anfang. Hier ist noch Vieles unfertig, langweilig, erst in flachen Bruchstücken notiert, zögert noch beim Heranwachsen. Sieben einsame Glanzpunkte sind die stürmische Ouvertüre, der hoffnungslose, erschütternde Holländer-Monolog „Die Frist ist um“, die lebhafte Senta-Ballade, ihr gemeinsames Liebeslied mit dem eingetroffenen Meeresgespenst, Eriks weltverlorene Traum-Erzählung und zwei kräftige Matrosenchöre.

2. Tannhäuser. Das schwierige Werk wurde immer wieder neu bearbeitet .Uraufführung der zweiten, erneuerten Fassung war 1861 an der Pariser Oper und wurde zum Skandal, als gelangweilte Mitglieder des adeligen Jockey-Clubs mit schrillen Trillerpfeifen die Vorstellung zusammenlärmten.

Hier geht es um die Zerrissenheit eines einzelnen Menschen zwischen Lust und Liebe, zwischen niederer und hoher Minne. So nannte man diesen Konflikt, in den acht Jahrhunderten zwischen den Jahren 800 und 1500, im unruhigen MIttelalter

In diesem Stück verstärken sich ganz neuartige, noch nie gehörte Klänge. Die lockende, exotische Venusbergmusik ist musikgeschichtlich ein Neubeginn.

3. Lohengrin

Das erste vollständige, fehlerlose Meisterwerk über den einsamen Schwanenritter aus dem geheimnisvollen Gralstempel, seinen vergeblichen Besuch bei den Menschen und die Wirkung des heiligen Gralskelchs erregte sofort die lebenslange Bewunderung von Märchenkönig Ludwig II., der danach zum ersten Mal, am 4.5.1865, in der Münchner Residenz den Komponisten persönlich traf, Wagners vorher lückenhafte Bezahlung sicherte und steigerte: „Von jetzt an werden Sie keine finanziellen Sorgen mehr haben.“

4. Nach den drei Frühwerken kommt das gewaltige, vierteilige Zentralwerk: Archetypische, traumverloree Schauplätze nach uralten, germanischen Motiven. Im Mittelpunkt: Die vergeblich umkämpfte absolute Weltherrschaft, mit Hilfe des goldenen, aber verfluchten „Ring des Nibelungen“:

4a ) Einaktiges Vorspiel. Das Rheingold, mit dem frühesten Anfang der Welt, in den vier Ur-Elementen Wasser, Erde, Feuer, Luft, aus denen alles spätere Leben in seiner universalen Vielfalt entstand.

4b) 1. Abend. Die Walküre. Der erste Auftritt der Menschen und ihr Streit mit den alten Göttern, die nicht abtreten wollen.

4c) 2. Abend. Siegfried. Ein furchtloser Held wächst auf, menschenfern, im einsamen tiefen Wald.

4d) 3. Abend. Götterdämmerung. Siegfried wird aus Rache hinterlistig ermordet. Die stolze Götterburg Walhall geht in Flammen auf. Weltuntergang. Mittendrin: Eine überirdische, hymnische Melodie. Das kurze Hoffnungszeichen einer neuen Welt.

Der verteilige, kolossale Nibelungenring ist das gewaltige, ausführliche Mittelstück des zehnteiligen Gesamtwerks. Gemeinsam mit den separat geschaffenen Einzelwerken, aus drei frühen und drei späten Blöcken, ist der vierteilige „Ring“ Mittelpunkt eines gipfelstürmenden Tryptichons aus drei gewaltigen Hauptelementen, wie bei einem alten, reich geschmückten dreiteiligen Kirchenaltar. So sind auch die drei Teile der biblischen Trinitas zu verstehen, der dreifachen Erscheinung Gottes als Vater, irdischer Sohn, gemeinsam allmächtig mit dem Alles umfassenden, grenzenlosen Geist, der unendlichen kosmischen Energie bei dem Aufbau unserer Welt.

4. Tristan und Isolde. Uraufführung am 10.6.1865 in der Münchner Staatsoper, an der Seite des Königs. Hier erstaunen völlig neuartige Klänge, eine feste Tonart fehlt, dafür gibt es einen ständigen Wechsel der Klangfarben, einen entfesselten, fiebrigen Taumel der Gefühle. Das wurde zunächst sogar von der Wiener Staatsoper als unzumutbar, als „unspielbar“ abgelehnt.

5. Die Meistersinger von Nürnberg. Die einzige Komödie, voll inniger und triumphierende Zwischentöne, innerhalb der gesamten zehn Musikdramen als heiteres Intermezzo, als vorletztes Werk. Uraufführung in München am 28.6.1868, an der Seite des Königs. Die beiden, gerade genannten Uraufführungen (Tristan und Meistersinger) leitete in München Hans von Bülow, der Ehemann von Cosima, die nach der längst unvermeidlichen, endgültigen Trennung und Scheidung den schon lange wartenden Komponisten Wagner sehr schnell, schon vier Wochen später, am 23.8.1878 heiratete. Als er dann, fünf Jahre später starb, schrieb der verlassene Bülow ihr eine kurze Nachricht: „Soeur, il faut vivre.“ (Schwester, man muss weiter leben.)

6. Parsifal. Das endgültige „Weltabschiedswerk“. Die Aufsehen erregende Uraufführung geschah am 26.7.1882 im Bayreuther Festspielhaus. Dort allein sollte auch dieses Endwerk, der Schluss-Stein sein, als Mysterienspiel, „Bühnenweihfestspiel“ in aller Zukunft nur dort zu sehen sein. Das ließ sich aber auf Dauer, wegen des weltweiten Interesses, nicht durchsetzen.

Hier, im gewaltgen Schlusswerk, ist die universale Religion das beherrschende Hauptthema, aber nicht in einer begrenzten Konfession. Wagner vereinigt und gestaltet hier Elemente der großen Weltreligionen. Das ist das einzige Werk, dessen letzte fünfzehn Minuten er bei der Uraufführung 1882 selbst dirigierte. Hauptdirigent des Abends war der jüdische Dirigent Hermann Levi. Das beste Beispiel gegen das endlose, ständige Gerede vom Antisemitismus des Komponisten. Die Entscheidung für Levi war möglicherweise ein persönlicher Wunsch aus Wagner privater Nachbarschaft und seiner Freundschaft mit dem reichen Bankier Friedrich Feustel, dem Großmeister der örtlichen Freimaurer-Loge „Zur Sonne“. Schon am 13. Februar des Folgejahres starb Wagner im Palazzo Vendramin, am Canale Grande in Venedig. Bei der sofortigen Heimreise saßen im Sonderzug nur Witwe Cosima mit dem Sarg und die Kinder. An jeder größeren Station gab es einen kurzen Halt. Herbei geeilte Orchestermusiker spielten die Trauermusik aus „Götterdämmerung“. Am Ziel, in Bayreuth gab es eine längst bereit liegende Sondererlaubnis der Stad, für die Beisetzung im eigenen Privatgarten, die sonst in Deutschland verboten ist.

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Wagners große Bedeutung liegt in seiner heausragenden Fähigkeit, mehrere übereinander gelagerte Schichten des menschlichen Bewusstseins in eigene Texte und Klangwelten zu verwandeln und mit einer ggeheimnisvollen Symbolsprache zu verschlüsseln. Er fand dazu einen eigenen Rätselspruch, den er am 22.5.1872 in den Grundstein des neuen Festspielhauses einmauern ließ: „Hier schließe ich ein Geheimnis ein. Da ruh es hundert Jahre. So lange es der Welt sich zeigt, wird es der Welt nicht offenbar.“ Das bedeutet: Die sichtbaren Aufführungen im Zuschauerraum verhüllen immer noch das nicht sichtbare Innenleben, das Mysterium der zehn Hauptwerke, die er selbst dafür auswählte und genehmigte.

Die wohl beste Aufnahme von Orchesterstücken aus dem Nibelungenring, ohne Gesang, gelang Leopold Stokowski. Hier kann man das hören:

https://www.youtube.com/watch?v=WnlfNhfVrgI

Noch immer wird leidenschaftlich um die mächtigen Wagnerwerke gestritten. Das ist gut, wenn dabei die klaren gesetzlichen Verbote und die Regeln des Anstands beachtet werden, außerdem auch Interesse und Sachkenntnis überhaupt vorhanden sind. Das ist leider nicht immer der Fall, wenn ahnungslose, bösartige Tratschköpfe eigentlich nur reiche, geldwerte Kontakte suchen. Zur Zeit stehen sie vor den, wie alle Musiktheater, fest geschlossenen Türen. Und andere Türen werden auch noch, nicht nur von Musikfreunden, zugeknallt.

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